Psychomotorik

Das pädagogisch-therapeutische Konzept der Psychomotorik geht aus von einer engen wechselseitigen Verbindung zwischen psychischen Prozessen und Bewegung. Ziel der Psychomotorik ist es, über Bewegungserlebnisse einerseits die Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit der Kinder zu fördern und sie in ihrer Gesamtentwicklung zu unterstützen, gleichzeitig aber auch zur Stabilisierung ihrer Persönlichkeit beizutragen und Situationen anzubieten, durch die die Kinder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufbauen können. Diese Erfahrungen werden durch gezielte Spiel- und Bewegungsangebote gefördert, bei denen individuelle Herausforderungen, die Unterstützung der Eigenaktivität und Selbstwirksamkeitserlebnisse entscheidend sind.

Die Psychomotorische Förderstelle des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (nifbe) hat eine sehr lange Tradition. Sie wurde 1978 an der Universität Osnabrück im Fachgebiet Sportwissenschaft durch Prof. Dr. Renate Zimmer und Prof. Dr. Meinhart Volkamer gegründet. Regelmäßig wurden Kinder im Alter zwischen 3 und 12 Jahren in unterschiedlichen Gruppen betreut. Durch die Gründung des nifbe und die Einrichtung der Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik 2008 wurden auch die personellen und technischen Bedingungen erweitert. Damit wurden die Voraussetzungen für umfangreiche Forschungs- und Studienprojekte geschaffen, gleichzeitig stellt die Psychomotorische Förderstelle eine etablierte Praxiseinrichtung des nifbe dar.
Mir den Veränderungen auf der Vorstandsebene und dem Ausscheiden von Prof. Dr. Renate Zimmer als Direktorin des nifbe wurde die Psychomotorische Förderstelle nach 42 Jahren erfolgreicher und überregional anerkannter Arbeit geschlossen. 


40 Jahre Psychomotorische Förderstelle Osnabrück

Jubiläumsfeier am 4. Mai 2018
Am 4. Mai 2018 feierte die Psychomotorische Förderstelle in Osnabrück ihr 40-jähriges Jubiläum. Zum Festakt in der Gymnastikhalle des Sportinstituts der Universität Osnabrück kamen knapp 100 Menschen zusammen: Kinderärztinnen und Kinderärzte, pädagogische Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer der Grund- und Förderschulen, Kolleginnen und Kollegen aus der Psychomotorik und natürlich auch Eltern und (ehemalige) Kinder, für die noch einmal manche positiven Erinnerungen geweckt wurden.

Prof. Dr. Renate Zimmer begrüßte alle Anwesenden herzlichst und ließ mit Worten, Fotos und Videos die vergangenen Jahre Revue passieren. Damit veranschaulichte sie die Relevanz der psychomotorischen Förderung für die Kinder: „Über die Bewegung entdecken Kinder ihre Kraftquellen, die Psychomotorik ermöglicht ihnen entscheidende Selbstwirksamkeitserfahrungen“, so Zimmer. Kinder würden sich und ihren Körper gemeinsam mit anderen erleben, etwas wagen und sich mehr zutrauen und auch lernen, Risiken und Grenzen abzuschätzen. Als unabdingbare Grundprinzipien der Psychomotorik nannte sie die „Anerkennung und Wertschätzung der Kinder durch die Erwachsenen“. Ferner unterstrich sie, wie wichtig die Weiterführung der Förderstelle auch für die Arbeit des nifbe ist.

Fiona Martzy, Dipl. Motologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am nifbe, gewährte einen Blick in die Forschungsergebnisse zu Veränderungen im Selbstkonzept der psychomotorisch geförderten Kinder. Sehr eindrücklich und bewegend schilderten einige Eltern ehemaliger Fördergruppenkinder ihre Sicht auf die Arbeit der Psychomotorischen Förderstelle und zeigten auf, welche Fortschritte ihre Kinder im Laufe der Förderung gemacht hatten. Die Forschungsergebnisse wurden damit noch einmal auf authentische Weise bestätigt. „Psychomotorik hat meinem Sohn die Freiheit gegeben, sich in seinem ganz eigenen Tempo zu entwickeln und heute Fahrrad und Roller zu fahren wie andere Kinder auch“ schilderte der Vater des mit Down-Syndrom geborenen Jannis* den Effekt von dessen regelmäßigen Besuch der Psychomotorischen Förderstelle in Osnabrück. „Aber er braucht nur etwas mehr Zeit, mehr Geduld und mehr Liebe als andere Kinder – und die hat er in der Psychomotorischen Förderstelle bekommen“. Ganz in diesem Sinne berichtete auch die Mutter von Tom*, einem Kind mit autistischen Zügen, dass ihr Sohn in den Psychomotorik-Stunden „Vertrauen und echte Zuwendung erfahren hat und die Freiheit hatte, das zu tun, was er wollte und konnte.“  Anschließend wurden bei Sekt und Orangensaft noch viele Erinnerungen und Glückwünsche ausgetauscht.
*Namen von der Redaktion geändert


Internationales Symposium Psychomotorik am 5. Mai 2018

Am 5. Mai 2018 fand im Osnabrücker Schloss ein Internationales Symposium Psychomotorik statt. Unter der Leitung von Prof. Dr. Renate Zimmer nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus acht verschiedenen Ländern teil. Darüber hinaus kamen auch interessierte pädagogische Fachkräfte aus der Region und Kolleginnen und Kollegen anderer psychomotorischer Einrichtungen in Deutschland, so dass mit den 70 geladenen Gästen ein reger Austausch über Bewegung und Psychomotorik in Europa möglich war. Im Fokus standen die Fragen, wie die Psychomotorik in Europa aufgestellt ist und inwiefern sich ihre therapeutischen und pädagogischen Ansätze in Theorie und Praxis unterscheiden. „Psychomotorik ist ein interdisziplinäres Konzept mit vielen Facetten“ leitete Symposiumsleiterin Prof. Dr. Renate Zimmer ein.


Im ersten Hauptvortrag gab Prof. Dr. Thomas Moser von der Universität Südost-Norwegen einen Einblick in die Bedeutung von Körper und Bewegung in nordischen Kindergärten und verblüffte mit der Aussage, dass der Begriff Psychomotorik hier unbekannt sei. Allerdings sei der verbindliche zentrale Bildungsplan für die öffentlichen und privaten Kindergärten stark von psychomotorischen Elementen geprägt. Der hohe Stellenwert von Bewegung zeichne sich auch in den vielen Außenaktivitäten ab, die im Sommer einen Anteil von 70 und selbst im bitterkalten norwegischen Winter noch einen Anteil von 30 Prozent ausmache.


In einem zweiten Hauptvortrag zeigte Prof. Dr. Antonis Kambas von der Democritus Universität zu Thrazien (Griechenland) auf, wie sich die Psychomotorik in seinem Land aus der Praxis heraus zu einer wissenschaftlichen Disziplin entwickelt hat. In Kurzbeiträgen stellten Prof. Susanne Amft von der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (Schweiz), Dr. Maija Koljonen von der Universität Helsinki (Finnland) gemeinsam mit ihrer Kollegin Marja Kanneluso, Dr. Jolanta Gnitecka von der University School of Physical Education Breslau (Polen) und Thesi Zak vom Aktionskreis Motopädagogik Österreich (akmö) die jeweiligen aktuellen Entwicklungen der Psychomotorik in ihren Ländern vor. Die feste Verankerung der Psychomotorik in Deutschland zeigte Horst Göbel von der Deutschen Gesellschaft für Psychomotorik (DGfPM) auf. Ihre Einsatzbereiche liegen dabei von der klinischen Therapie über die Sonderpädagogik und Heilpädagogik bis zum Kindergarten und der Grundschule. Ausgangspunkt lag dabei in den 1960er Jahren beim Pionier Jonny Kiphard, der als Clown und Zauberer unter anderem im Zirkus Althoff auftrat. In der Folge wurden Testverfahren entwickelt, psychomotorische Vereinigungen und Zeitschriften sowie Förderstellen gegründet, Weiterbildungen geschaffen und ein Masterstudiengang Motologie an der Universität Marburg entwickelt. In diesem Sinne, so Göbel, „ist die Psychomotorik in Deutschland eine Erfolgsgeschichte, die auch ganz eng mit dem Namen Renate Zimmer verbunden ist“. Als Entwicklungsaufgaben für die Zukunft zeigte er „einheitliche Qualitätskriterien“, eine „einheitliche Refinanzierung“ und eine „noch bessere internationale Vernetzung“ auf.


Zahlreiche Nachfragen und Diskussionsbeiträge der Anwesenden machten deutlich, wie erkenntnisreich dieser Austausch für alle ist. Das Symposium endete mit konstruktiven Gesprächen und Ideen für länderübergreifende Kooperationen; der internationale Austausch, da waren sich alle einig, wird unbedingt weitergeführt.



Delegation der Psychomotorik aus Finnland


Delegation der Psychomotorik aus Griechenland


Referentin der Psychomotorik aus Österreich


Referentin der Psychomotorik aus Polen


Delegation der Psychomotorik aus der Schweiz